Ach Schuld – du fiese, miese Schuld…
…du bist schuld, dass meine Brust sich schwer,
meine Gedanken sich unerträglich anfühlen.
…du bist schuld, wenn sich mein Magen zusammenzieht,
meine Hände zittrig werden, mein Herz sticht.
…du bist schuld,
dass ich mich nicht nach mir anfühle.
…du bist schuld, dass Scham, Angst und Verzweiflung
gleich mit dir über die Schwelle treten.
Ach, Schuld – du fiese, miese Schuld…
…du bist schuld.
Schuld ist eine zerreissende Emotion. Sie zwingt mich dazu, meine Taten infrage zu stellen, meinen Worten, ja, selbst Gedanken, zu misstrauen. Sie zwingt mich, mich selbst als die Person, die ich bin, anzuzweifeln. Das ist verdammt unangenehm. Ich frage mich wieder und wieder: Ist Schuld vorhersehbar? Ab welchem Punkt ist es zu spät? Ab wann trägt ein Mensch Schuld? Wann ist sie berechtigt? Und ist diese Emotion irreversibel?
Noch schwieriger als die Emotion selbst ist die Suche nach Antworten auf diese Fragen.
So schlängle ich mich durch die Tage und Nächte, ohne Antworten darauf, ob mein Gehen und alles, was folgte, mir allein zuzuschreiben ist. Habe ich es kommen sehen und trotzdem nicht gehandelt? Waren meine Entscheidungen falsch? Bin ich deshalb verantwortlich dafür, dass du leidest? Trage ich an allem Schuld, was war – und schlimmer – an dem, was noch kommen mag? Bin ich ein schlechter Mensch? Wie ich bereits sagte: verdammt unangenehm!
Also verdränge ich. Doch die Schuld hat Krallen, so weitreichend, dass sie von überall her nach mir greifen kann. Vielleicht kann ich es überspielen, vielleicht kurzfristig sogar vergessen. Spätestens am Abend jedoch, wenn ich meine Augen schließe, setzt sie sich zu mir ins – nun nicht mehr so warme – Bett.
Für meine Taten muss ich Verantwortung übernehmen, die Konsequenzen selbst tragen – oder eher ertragen. Auch wenn meine Absichten nicht von bösem Charakter gelenkt wurden oder ich im Moment des Geschehens nicht Herrin meiner Sinne war – das alles spielt keine Rolle mehr. Ich musste das auf schmerzhafte Weise lernen. Denn klar ist: Ich habe dich enttäuscht. Genauso wie mich selbst. Ich habe dich nachhaltig verletzt, habe fragwürdig gehandelt und Worte ausgesprochen, die Seelennarben hinterließen. Diese Erfahrungen sind der Grund, warum ich eine Frage klar für mich beantworten kann:
Ist Schuld irreversibel?
Ich glaube: Ja. Was passiert ist, ist passiert. Wie ich dafür geradestehe, ist entscheidend – und ob mit wohlwollender Hand ein neues Kapitel geschrieben werden kann.
Ja, Schuld ist eine zerreissende Emotion. Sie ist unglaublich schwierig auszuhalten und beleuchtet meine Makel wie das Sonnenlicht tanzende Staubpartikel. Gut so. Sie zwingt mich, hinzuschauen und zu reflektieren. Sie lehrt mich, meiner Werte bewusster zu werden und zukünftig entsprechend zu handeln. Ich bin nicht perfekt und das ist okay. Trotzdem will ich nicht müde werden, von Zeit zu Zeit abzustauben. Denn was unter dicken Staubschichten liegt, lohnt sich zu finden.
Es ist okay, dass meine Brust schwer ist,
das lehrt mich noch tiefer Luft zu holen.
Es ist okay, dass mein Herz sticht,
das hilft mir, mich selbst zu spüren.
Es ist okay, dass ich mich nicht nach mir anfühle,
das ermutigt mich, neue Kapitel zu schreiben.
Also, was meinst du –
darf ich die Seite umblättern?

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